Zweite Chance - Prävention an der JGR

17.09.2016

Ausstieg aus der rechten Szene – Die zweite Chance

NinA NRW und Aussteiger aus der rechten Szene im Gespräch mit Schülerinnen und Schülern – Präventionsprojekt an der Johann-Gutenberg-Realschule                                                                      

Als alle rund um die zusammengeschobenen Tische versammelt sitzen, herrscht zunächst eine beklemmende Stimmung. Alle sind still und aufmerksam. Da ist also so ein Rechtsradikaler – nein, ein Aussteiger! Er ist anonym hier. Kein Name, kein Alter, kein Ort. Und das muss auch so sein. Warum, erfahren die Schülerinnen und Schüler im Verlaufe des Interviews.

Die Beraterin von NinA NRW erklärt ausführlich, wie die Beratungsstelle arbeitet und wie sie Ausstiegswilligen aus der rechten Szene hilft.

Der ehemalige Rechtsextremist berichtet aus seinem Leben, wie es dazu  kam, dass er rechtsradikal wurde und wie der steinige Weg aussieht, aus der Szene wieder herauszukommen. „Heute haben nicht Außenstehende über Rechtsradikalismus gesprochen. Diesmal erzählte einer, der mitgemacht hat, der mitten im Geschehen war. Eine besondere Erfahrung!“ - so sind sich alle einig.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gesprächsrunde sind sehr beeindruckt über die schonungslose Offenheit des Aussteigers und den Mut, über seine Schuld, das Geschehene und seinen Weg zu reden.

Er hat sein Leben sozusagen ganz offen gelegt, versucht herauszufinden, was schief gelaufen ist und wie er in die rechte Szene gerutscht ist. Die Schülerinnen und Schüler hören, wie Jugendliche angelockt werden mit interessanten Freizeitangeboten und Versprechungen. Je länger man dabei ist, desto schwieriger wird der Ausstieg. Gewalttaten werden verübt, man gerät immer tiefer hinein. Zum Schluss steht man ganz einsam da – mit der Schuld. Der Aussteiger erzählt, dass er mit seinen Opfern geredet hat und dass er froh sein kann, dass sie ihm zugehört haben. Ein Neuanfang ist sehr schwer und der Ausstieg dauert lange. Man darf nicht mehr mit den falschen Freunden zusammen sein. Man steht also erstmal völlig alleine da. Man muss sein Umfeld verlassen, braucht ein neues Zuhause, eine neue Arbeitsstelle. Das Leben muss sich komplett ändern. Deshalb ist auch die Hilfe von NinA NRW wichtig. Und dazu gehört auch, dass der Aussteiger zu den Schülerinnen und Schülern spricht. Über seine Fehler sprechen und Prävention für die Schülerinnen und Schüler sind wichtig.

Zum Schluss hat er noch einen Wunsch:

„Lasst euch nicht in diese Szene reinziehen und… Kümmert euch um die, die ausgeschlossen werden aus der Freundesgruppe. Lasst niemanden allein. Ihr könnt Verantwortung übernehmen! Fragt sie, wenn sie sich absondern, lasst euch auf Diskussionen ein und versucht Antworten zu finden! Lasst keinen hängen! Sonst geraten sie vielleicht auch in die Fänge der Rechtsradikalen.“

Zum Hintergrund:

An der Johann-Gutenberg-Realschule engagiert man sich seit nunmehr 10 Jahren mit dem Kurs "Spurensuche", Kunstprojekten, Gedenkveranstaltungen zur Pogromnacht und Besuchen von Gedenkstätten sowie Medienprojekten für die Prävention und die Erinnerungsarbeit. Gerade in der heutigen Zeit ist das Thema „Rechtsradikalismus“ in der Bevölkerung und besonders unter Jugendlichen wieder aktuell. Eine Schülergruppe und die Lehrerin Claudia Werner besuchten im Frühjahr die Fachtagung „Rechtsextremismus – Der Zug endet hier“ im Dortmunder Rathaus. Das Engagement der Schülerinnen und Schüler beeindruckte und es ergaben sich Kontakte. Einer davon mit „NinA NRW – Neue Wege in der Ausstiegsberatung“. Die Schülergruppe hatte viele Fragen erarbeitet. „Wie gerät man in die rechte Szene und wieso ist es so schwer, dort wieder herauszukommen?“ „Wie merkt man, dass ein Freund/ eine Freundin in die rechte Szene abrutscht und was muss man dann tun?“ Nun bekam die Johann-Gutenberg-Realschule Besuch von einer Beraterin von NinA NRW und einem Aussteiger aus der rechten Szene. Anwesend bei diesem Treffen waren 20 Jugendliche aus den Kursen der Jahrgangsstufen 9 und 10: „Vorsicht Kunst!“, „Medienchecker“  „Spurensuche“ und einige Schüler der 8. Klasse sowie die Lehrerinnen Claudia Werner und Barbara Posthoff.

Aussteiger aus der rechten Szene und Beraterin von NinA NRW im Interview

Beraterin wie auch Aussteiger müssen anonym bleiben. Deshalb haben wir hier einmal die Antworten mit unseren Worten zusammengefasst:

Wie kann man  verhindern, in die rechte Szene zu geraten?

NINA NRW: Man sollte sich nicht von kostenlosen Freizeitangeboten, die von bestimmten rechtsextremen Parteien angeboten und finanziert werden, locken lassen. Zudem sollte man sich in Acht vor Gruppen nehmen, die der rechten Szene angehören, und einem das Gefühl von Stärke und Zugehörigkeit geben. Oft bevorzugt diese Szene Menschen, die aus Einsamkeit oder unter einer Art  Minderwertigkeitsgefühl leiden. Sie sind sozusagen „eine leichte Beute“.

Wie sollte ich reagieren, wenn ich befürchte, dass ein Freund oder Bekannter rechtsradikal sein könnte?

NinA NRW: Man sollte anfangen, ihr oder ihm seine Hilfe anzubieten, um über die Hintergründe des Verhaltens zu reden. Man sollte keine Abneigung gegenüber der betroffenen Person zeigen, weil sich diese dadurch unbestätigt oder sogar angegriffen fühlen könnte. Dennoch ist es wichtig zu verdeutlichen, dass die rechtsextremen; abwertenden Handlungen anderen Menschen gegenüber nicht akzeptiert werden.  

Woran sehe ich, ob jemand in die rechte Szene rutscht?

NinA NRW: Es gibt verschiedene Wege, in die rechte Szene zu geraten. Der Einstieg in die Szene ist schleichend und die Wenigsten schaffen einen Ausstieg. Oft fühlen sich die Personen von ihrer Umgebung nicht verstanden und haben mit einem Minderwertigkeitsgefühl, oft ausgelöst in ihrer Kindheit oder durch ihre Umgebung, zu kämpfen. Hier verspricht die rechte Szene den Jugendlichen Gemeinschaft, Freundschaft und ein gemeinsames Feindbild. In diesen Gemeinschaften fühlen sich die Jugendlichen stark und haben ein gesteigertes Selbstbewusstsein. Sie finden neue Freunde und distanzieren sich von ihrem alten Umfeld.  

Wenn ein Mensch aus der rechten Szene aussteigen will, wie erfolgt der Austritt aus der Szene dann konkret?

NinA NRW: Der Austritt aus der Szene ist ein langjähriger Prozess, der mit vielen Gefahren verbunden ist. Um betroffene Personen zu unterstützen, wurde die Organisation NinA NRW gegründet. Diese Organisation hilft ehemaligen Rechtsradikalen, erleichtert den Austritt aus der Szene. Diesen Personen werden verschiedene Hilfen angeboten - je nachdem, welche Hilfen die aussteigende Person benötigt.

Was sind die Folgen des Austritts?

NinA NRW: Die ausgestiegene Person hat oft mit der Einsamkeit zu kämpfen, und muss ihr Leben um 180 Grad drehen. Es geht eine große Gefahr von ehemaligen Kameraden aus, die sich an der Person, gegebenenfalls an der Familie, rächen wollen. Manche plagt auch ein schlechtes Gewissen wegen der Taten, die man verübt hat. Die vorherige Szeneaktivität kann zur Folge haben, dass nur unter erschwerten Bedingungen ein Ausbildungs- und/oder Arbeitsplatz zu finden ist, da  personenbezogenen Daten, die einen Szenebezug sichtbar machen, noch lange im Internet auffindbar sind. Dadurch wird es noch schwerer, einen Neuanfang zu schaffen.

Das Fazit der Schülerinnen und Schüler: Man hat Respekt, Mitleid, einen Kloß im Hals. Es ist viel schwerer, als man denkt, aus der rechten Szene auszusteigen. Also muss alles dafür investiert werden, dass keiner in diese Szene gerät. Heute ist dafür ein erster Schritt  getan und alle Beteiligten haben viele neue Erfahrungen und Denkanstöße mitgenommen. Die Schülerinnen und Schüler sind still. „Jeder hat eine zweite Chance verdient.“

Der Artikel wurde gemeinsam verfasst von folgenden Schülerinnen und Schülern:

Ahmet, Laurin, Noemi, Lucy, Lara, Lena und den InFö-Kursen „Medienchecker“ und „Vorsicht, Kunst!“