Stolpersteinverlegung

11.10.2018

Stolpersteine in Hörde, Graudenzer Str. 9 für die Familie Löwenhardt

Ich suche einen Parkplatz und frage mich, wie es wohl sein wird – die erste Stolpersteinverlegung, bei der ich dabei sein werde. Und es ist ein Nachfahre der Familie Löwenhardt da. Ein Mensch, der an seine Familie erinnern wird, mit dem ich mich unterhalten kann.

Von Weitem sehe ich schon Barbara Posthoff und Kristina Rajic-Pfetzing – die unermüdlichen Geister in Sachen Erinnerungskultur. Auch die Schülerinnen und Schüler des Geschichts-Kurses Spurensuche stehen dort, Diethart Döring und Barbara Samuel und Klaus Lenser – allesamt Mitgestaltende der Gedenkveranstaltung zur Pogromnacht in Hörde. Über 10 Jahre arbeiten wir nun teils zusammen. Heute treffen wir uns mitten in Hörde, in der Nähe des Hörder Neumarktes – vor einem Haus, einem Mehrfamilienhaus.

Mit der Familie Löwenhardt aus der Graudenzer Str. kann ich nicht sprechen. Sie kann ich nicht fragen, ob sie es nicht haben kommen sehen, wie die letzten Stunden waren, wie es sich anfühlt, von dem eigenen Land verraten zu werden, einer Stadt, in der man gelebt, gearbeitet, geliebt, gelacht hat.

Ich denke an meine 8jährige Tochter, die mich immer wieder auf die Stolpersteine auf unseren gemeinsamen Wegen aufmerksam macht. Ich habe es ihr erklärt, habe ihr gesagt, dass die Steine dazu da sind, dass die Menschen, die hier gestorben sind, nicht vergessen werden.

Während ich nun mittlerweile bei der Stolpersteinverlegung bin, kommt eine abgehetzte junge Frau auf dem Fahrrad auf uns zu und fragt aufgeregt: „Was ist denn hier los? Ich wohne in dem Haus!“ – Es wird ihr flüsternd erklärt, während die Rede über die Löwenhardts weiter vorgetragen wird, dass in ihrem Haus eine Familie gewohnt habe, die zu einem Teil verschickt und zu einem anderen Teil in Auschwitz ermordet wurde. „Aha!“ – etwas zu laut klingt das Erstaunen. Aber ihr wird nun bewusst, dass das Haus, in dem sie wohnt, auch eine dunkle Geschichte hat. Das ist sicher ein seltsames Gefühl.

Ich wende mich wieder der Stolpersteinverlegung zu. Zunächst sprechen die Vertreter des Stadtteils, dann Lara – eine Schülerin der Johann-Gutenberg-Realschule – nun Herr Löwenhardt – ein Nachfahre. Er berichtet von dem, was er über seine Familie recherchiert hat. Es werden Familienfotos hochgehalten. Das sind die wenigen Überbleibsel, die den beiden Söhnen mit nach England mitgegeben wurden. Wir sehen auch ein Foto des ältesten Sohnes, der vor noch nicht so langer Zeit gestorben ist. Bilder geben den Namen eine Gestalt.

Der Rabbiner spricht auch einige Worte. Es wäre das mindeste, der Ermordeten, der Vertriebenen zu gedenken – auch Dortmund hätte etwas verloren – wertvolle Menschen und es sei fast so, als wolle man mit den Stolpersteinen die Seelen wieder zurückholen.
Es ist ein besonderer Moment – alle sind still. Er spricht ein Gebet.

Nun werden die Stolpersteine eingesetzt. Mit Bedacht und Sorgfalt werden sie in den Boden eingelassen. Frau Löwenhardt legt einen kleinen Wiesenblumenstrauß nieder.
Ich unterhalte mich noch mit dem Rabbiner und Herrn Löwenhardt, erzähle noch von meiner Kunstaktion mit Schülerinnen und Schülern im Rahmen der Ausstellung und Gedenkveranstaltung am 11. November in der Bürgerhalle in Hörde.
Barbara Samuel und Herr Löwenhardt bedanken sich vor allem bei den Schülerinnen und Schülern dafür, dass sie da sind, die Erinnerung wachzuhalten. Sie geben ihre Geschichte, die Geschichte ihrer Familien in ihre Hände.

Ich habe viele Eindrücke mitgenommen. Und ich werde noch viel intensiver die Stolpersteine wahrnehmen. Ich bin dankbar, dass es sie gibt. Sie helfen, dass das Unrecht, dass die Opfer nicht vergessen werden.
Claudia Werner

Gespräche und Austausch

Ansprechpartnerinnen für die Spurensuche: Barbara Posthoff, Kristina Rajic-Pfetzing

Interviews nach der Stoplersteinverlegung

Es kam zu angeregten Gesprächen und auch Interviews wurden durch Klaus Lenser geführt.

Die zum Thema Stolpersteine in Dortmund entstandene Sendung liegt als Podcast vor.

Fotos: Amira Dabashi und Claudia Werner

Familie Löwenhardt in Hörde

Das Ehepaar Caroline Margarethe und Sigmund Löwenhardt lebte seit 1930 hier in Hörde, Graudenzerstraße 9.
Sie hatten drei Kinder, zwei Jungen Hans Georg und Manfred und eine Tochter Ursula Bertha. Alle drei Kinder wurden in Hörde geboren. Hans-Georg, der Älteste wurde im März 1924 geboren, sein Bruder Hans Georg war zwei Jahre jünger und im Frühjahr 1930 wurde die kleine Tochter geboren.
Die Familie Löwenhardt war Teil einer sehr großen Familie, Sigmund Löwenhardt hatte 11 Geschwister, all seine neun Brüder haben im Ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft.
Sigmund Löwenhardt betrieb ein Herren Bekleidungsgeschäft in Hörde.
Als der Nazi-Terror begann waren die Jungen 9 und 7 Jahre alt. In den nächsten sechs Jahren erlebten sie die vorsätzliche Vernichtung des Lebensunterhaltes ihres Vaters, das Geschäft wurde ihm formell am 30. September 1938 von den Nationalsozialisten weggenommen. Die Jungen  erfuhren Ausgrenzung, die Zerstörung der Hörder Synagoge und zwei Tage später die Verhaftung ihres Vaters. Auch Hans Georg wurde für eine Nacht in der Steinwache festgehalten.
Daraufhin kamen Hans Georg und Manfred im März 1939 mit dem Kindertransport nach England. Hans Georg war bei der Trennung von seiner Familie 15 Jahre und sein Bruder nur 13 Jahre alt. Warum ihre Schwester Ursula nicht auch nach England geschickt wurde, wissen wir nicht. Vielleicht dachen die Eltern, sie wäre noch zu klein.
Das Familienfoto wurde im Februar 1939 kurz vor der Abreise der Jungen aufgenommen. Niemand auf den Foto schaut glücklich aus.
Beide Jungen kamen heil in England an und lebten in der Nähe von London.
Manfred hatte in der Emigration – abgeschnitten von seiner Familie in Dortmund – große Probleme, auch in der Schule und brauchte regelmäßig psychologische Hilfe.
Er änderte seinen Namen in Freddie Lowe und lebte seit  Kriegsende in Kanada und starb  1963 im Alter von 39 Jahren an einem Hirntumor. Er war nicht verheiratet und hatte keine Kinder.
Hans Georg änderte seinen Namen in George Lowe und lebte seit 1970 in Südafrika. Er starb 2016.
Die Eltern und Ursula Berta zogen kurz nach der Ausreise ihrer beiden Söhne im Juni 1939 in die Leopoldstraße im Dortmunder Norden.
Ihre letzte Adresse in Dortmund war ein „Judenhaus“ in der Williburgstraße in Dortmund-Mengede.
Die Eltern und Ursula Bertha wurden am 29. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert und von dort aus im August 1944 nach Auschwitz. Sie wurden im Oktober 1944 ermordet.

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