Sprache ist Denken!
Peter Bandermann zu Gast in der Johann-Gutenberg-Realschule
Der Kurs Individuelle Förderung "Spurensuche" unter der Leitung von Frau Posthoff und Frau Rajic-Pfetzing beschäftigt sich momentan ja intensiv mit den Themen "Verschwörungstheorien" und "Fakenews". Nun konnte die Johann-Gutenberg-Realschule den renommierten Journalisten Peter Bandermann gewinnen, einen interaktiven Vortrag zum Thema "Fakenews" zu halten. Der Konferenzraum war gut gefüllt und alle warteten gespannt auf u.a. Informationen zu den Geschehnissen an Silvester in Dortmund. Hier hatte Peter Bandermann die Stimmung live vor Ort eingefangen und ein Video per Twitter ins Netz gestellt. Viele hatten befürchtet, dass sich eine Silvesternacht in Köln auch in diesem Jahr und auch in Dortmund wiederholen könnte. Es blieb bei einigen Rangeleien am Hauptbahnhof, Böllern, die man sich gegenseitig zuwarf und eine größere Gruppe syrischer Männer feierte ausgelassen. Ein Böller flog über die Reinoldikirche und verursachte einen leichten Brand an einem Netz, welches bei Renovierungsarbeiten an einem Gerüst befestigt war. Die Feuerwehr rückte an, löschte den Brand.
"Sprache ist Denken!" - Das ist ein Spruch, den sich die Schülerinnen und Schüler laut Bandermann merken sollen. Doch was hat das mit Silvester 2016/17 in Dortmund zu tun? Hier ein Auszug aus dem Vortrag von Peter Bandermann: "Anfang 1934 ist ein spezielles Gesetz in Kraft getreten. Die Nationalsozialisten haben sich dafür ein dreiviertel Jahr Zeit gelassen, um es in Kraft treten zu lassen. Dieses Gesetz heißt: Örtliches Schriftleitergesetz. Von da an haben Parteifunktionäre der NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) täglich bei den deutschen Zeitungsredaktionen das Bestimmungsrecht, was in der Zeitung steht und was nicht. Journalisten, die unliebsam waren, wurden ihres Amtes enthoben. Welche Folge kann das haben? Die Schülerinnen und Schüler finden heraus, dass ohne eine freie Presse natürlich auch keine freie Meinungsbildung möglich ist. "Die Meinungsfreiheit kann nicht mehr gelebt werden." - eine Schülerin. "Man kann sich keine eigene Meinung mehr bilden und muss das glauben, was man sieht und hört und liest!" - ergänzt eine weitere Schülerin. "Man hat auch damals schon Fakenews benutzt. Das gab es schon immer. Damals nannte man es Propaganda!" - so Bandermann. "Sprache ist Denken - man will in eure Köpfe!"
Und heute? Bandermann führt aus: "Fakenews zielen im Moment bei der derzeitigen politischen Stimmungslage in Deutschland, aber auch international, z.B. in England, in Amerika, Frankreich, in Ungarn und Polen darauf ab, einen Personenkreis herauszufinden, der für den angeblichen Untergang des Landes verantwortlich ist - aus wirtschaftlichen Gründen, aus sozialen Gründen und es werden auch Kriminalitätsgründe angeführt." Um welchen Personenkreis es sich bei der Suche nach einem Sündenbock wohl handeln könnte, wird schnell klar: "Die Flüchtlinge sind angeblich an allem Schuld, Migranten, Moslems - diese Personengruppe wird verantwortlich gemacht für Missstände in einem Land. Sogar in Japan ist das so, obwohl Japan noch nicht einmal Flüchtlinge aufgenommen hat." - so Bandermann. Und nun kommt der Journalist zu dem Beispiel aus der Dortmunder Silvesternacht: "Hier sieht man, was passieren kann, wenn einige wenige Flüchtlinge fahrlässig mit Pyrotechnik umgehen." Bandermann musste in dieser Nacht als Journalist arbeiten. Er dokumentierte die Geschehnisse in der Dortmunder Silvesternacht. Die Besorgnis war groß, dass es eine Wiederholung der Silvesternacht geben könnte. Peter Bandermann zeigt nun seinen Videomitschnitt und befragt danach die Schülerinnen und Schüler nach ihren Eindrücken. "Eigentlich recht friedlich, keine Schlägereien." - "Ich sah da nur feiernde Menschen." - "Es ging eigentlich. Man hat ein bisschen ein komisches Gefühl, aber es ist ja nichts passiert!" - "Die Polizei in dieser massiven Aufstellung ist fast angsteinflößender als die feiernden Menschen!" - so die verschiedenen Eindrücke nach dem Video. Interessant und beängstigend ist nun, was eine Dortmunder Internetseite der Dortmunder Neonaziszene daraus gemacht hat. "Hier finden sich öfter mal Fakenews: Berichte über erfundene Vergewaltigungen, über einen erfrorenen Obdachlosen, der keine Unterkunft gefunden hat, da diese angeblich voller Flüchtlinge seien. Jedoch hat man - laut Bandermann - nie eine Leiche gefunden. Aber man macht Stimmung gegen Flüchtlinge..." Bandermann weiter: "Das war auch in diesem Fall so. Um 3:41 Uhr in der Nacht zum 1. Januar 2017 ist folgender Text auf dieser Internetseite erschienen: "Dortmund: Ein 1000köpfiger Mob greift Polizisten in der Silvesternacht an - ein Feuer an der Reinoldikirche" Die Schülerinnen und Schüler sind geschockt. Das haben sie in dem Video nicht gesehen.
Am Neujahrstag um 15.01 Uhr erschien in einem rechtspopulistischen Internetmedium aus Österreich ein weiterer Text: "Silvester in Dortmund: Allahu Akbar und Kirchenbrand" - Allahu Akbar heißt zunächst einmal "Allah ist groß". Viele denken aber auch an die Anhänger vom IS." Es ist für Moslems aber einfach nur so etwas Ähnliches wie bei den Christen das Amen. Der islamische Staat nutzt diesen Aufruf vor Terroranschlägen. Der Terrorist will damit den Anschein erwecken, dass er den Anschlag im Namen Gottes ausgeführt hat." - so Bandermann. "Rechtspopulisten und auch Fakenewsproduzenten arbeiten sehr gerne damit, diesen Begriff Flüchtlingen zuzuordnen. Sprache ist Denken. Man will in eure Köpfe. Man will Beeinflussung!" Es wurde in dem veränderten Bericht auf der Internetseite von der Berichterstattung von Peter Bandermann abgeschrieben. Selbst das Foto ist ein Screenshot des Videos von Bandermann. Nun wurde nur noch die Reinoldikirche hineinmontiert. Doch es kommt noch schlimmer: Der Twitterkanal von Peter Bandermann explodierte förmlich. Es kamen viele Beleidigungen, Bedrohungen. Am Dienstag passierte dann etwas Merkwürdiges. 60.000 mal wurde der Artikel aufgerufen, obwohl die Nachricht ja schon alt war. Die Aufrufe kamen aus Amerika und England. Es lag an dem Internetportal "Breitbart.com" aus Amerika. Hier wurde nun geschrieben, dass ein 1000köpfiger Mob die Polizei attackiert und Deutschlands älteste Kirche in der Neujahrsnacht in Brand gesetzt habe. Deutschlands älteste Kirche steht gar nicht in Dortmund - das nur am Rande.
Bandermann berichtet nun, dass er am nächsten Tag noch einmal alle seine Quellen kontaktiert hat: Polizei, Feuerwehr, Ordnungsamt der Stadt Dortmund etc. Es gab jedoch keine neuen Fakten. Es gab also Autoren, die bei den drei Internetseiten in Dortmund, Österreich und Amerika die Texte ins Netz gestellt hatten. Keiner der drei Autoren hat jedoch bei z.B. der Polizei in Dortmund angerufen. Hätten sie bei z.B. der Polizei angerufen, hätten sie die Geschichte nicht schreiben können. Peter Bandermann führt nun weiter aus: "Anhand der vielen Reaktionen, die ich über Twitter erhalten habe, muss ich erkennen, dass viele Menschen das aber glauben, was dort steht." Ihm wurde sogar gedroht. Man arbeitet oft mit Schlüsselwörtern in Verbindung mit einem Text. Hass, Wut und Angst sollen erzeugt werden - Quellen, Zitate, Belege fehlen. So kann man Fakenews erkennen. Aber nicht nur Fakenews bedrohen unsere freie Meinungsbildung. In vielen Ländern gibt es keine Pressefreiheit. Peter Bandermann verteilt ein Plakat, auf dem die Länder in verschiedenen Farben markiert sind, rot für keine Pressefreiheit. Die Schülerinnen und Schüler sind schockiert. Peter Bandermann beschließt seinen spannenden und informationsreichen Vortrag mit einem Experiment und einem Auszug aus einer Kurzgeschichte von Josef Reding. Eine sehr beeindruckende und intensive Veranstaltung! Danke Peter Bandermann!
Fotos: Antonia, Claudia Werner - Text: Claudia Werner