Mit 114.000 Schritten Berlin erkunden

13.07.2017


Mit 114.000 Schritten Berlin erkunden

Dank modernster Technik, GPS-Ortung und Schrittzähler-App lässt sich die körperliche Anstrengung des diesjährigen Berlin-Seminars für die 10. Klasse ziemlich präzise beziffern. An fünf Tagen liefen die 17 Jugendlichen, die 2 Lehrer und 1 Lehrerin durchschnittlich 22.800 Schritte. Den Höhepunkt bildete der Dienstag mit 25.241 Schritten. Jeder, der selbst diese App nutzt, wird das Potenzial dieser Zahlen nachempfinden können. Den Kalorienverbrauch haben wir jetzt nicht ermittelt. Aber auch das steht fest. Die Teilnehmer hatten immer Hunger. Ja richtig, eine gendergerechte Schreibweise ist in diesem Beitrag nicht notwendig, denn es waren tatsächlich 17 Jungen. Krankheitsbedingt hatten auch noch die letzten Mädchen kurz vor der Fahrt absagen müssen und als Ersatz fanden sich halt nur Jungs. Für die Belegung der Finnhütten im wieder aufgesuchten Jugendgästehaus Schwanenwerder war dieses ein Vorteil. Die Essensbeschaffung zu später Stunde war jedoch schwierig, da diverse Lieferservices den weiten Weg raus auf die Insel im Wannsee nicht machen wollten. Dann hieß es halt, sich bereits in der Stadt den Bauch voll zu schlagen, oder bis zum Abschiedsgrillen am Donnerstag zu warten.

Für die geistige Anstrengung sorgte ein umfassendes Programm aus Besichtigungen, Führungen und Gesprächen. Noch am Anreisetag stand ein Besuch des Fichtebunkers auf dem Plan. Bei der Tour F des Vereins Berliner Unterwelten e.V. geht es durch ein verzweigtes Labyrinth aus Schlafräumen, Latrinen und Sanitätsabteilung des zu Kriegszeiten umfunktionierten Gasometers. Spannend ist die weitere Geschichte des Bunkers nach Kriegsende. Von der Aufnahmestelle von Flüchtlingen aus dem Osten, über eine Jugendarrestanstalt fand der Bunker bis weit in die 1950iger hinein als Unterkunft für mittellose Senioren Verwendung. Später wurden hier aufgrund der konstant kühlen Temperatur von 12°C nur noch Lebensmittel eingelagert. Bei hochsommerlicher Hitze in den Straßen Kreuzbergs war das für die Seminarristen eine angenehme Abkühlung.

Heiß ging es auch am Dienstag weiter. Zum Schwerpunkt „Berlin – eine geteilte Stadt“ standen der Tränenpalast an der ehemaligen Übergangsstelle Friedrichstraße wie die Gedenkstätte Bernauer Straße auf dem Programm. Entlang der Dauerbaustelle „Unter den Linden“, vorbei an der neuen Wache, dem Rohbau des Berliner Stadtschlosses und dem ebenfalls eingerüsteten Roten Rathaus wurde der Alexanderplatz und die Treppe zum Funkturm für ein urbanes Picknick genutzt. Nach einem letzten Abstecher in das Herz des ehemaligen Westberlins, dem Kudamm mit Gedächtniskirche und KaDeWe, war der erste Großstadteindruck mit historischer Einordnung abgeschlossen. Am Ende dieses Tages qualmten allen die Füße. Der Wannsee bot ihnen ein wenig Erholung.
Mittwoch folgte die Gruppe der Einladung der Abgeordneten Sabine Poschmann in den Bundestag. Live konnten sie einer Aktuellen Stunde mit Bericht der Bundesregierung im Plenarsaal folgen. Die neue Familienministerin Dr. Kararina Barlay gab ihr erstes Statement im Parlament ab. Sie erläuterte aktuelle Beschlüsse des Kabinetts und legte offen, welche Themen alle nicht mehr bis zur Wahl angepackt werden. Da die Fragen aus den Reihen der Opposition meist sehr speziell waren, schaute so mancher nur noch gespannt auf die Countdownuhr mit wechselndem Farbspiel von Grün, Gelb auf Rot, sobald die 60 Sekunden Redezeit überschritten wurden, um irgendwie über die Zeit zu kommen. Munter wurden die Jugendlichen erst wieder bei der interessanten Darstellung von der Arbeit und dem Leben als Politikerin in Berlin, dem Spagat zwischen Mandat und Mutter-Sein, der Verbundenheit zum Wahlkreis Dortmund und vielen weiteren Interna, die Frau Poschmann in einem einstündigen Gespräch freimütig berichtete. Frische Luft gab es erst wieder auf der Kuppel des Reichstags. Der wolkenlose Blick über Berlin war ein verdientes Danke-Schön für so viel Ausdauer. Am Spätnachmittag konnten sich die Jugendlichen zwischen einer Spreefahrt, dem Besuch des Jüdischen Museums oder einer weiteren eigenständigen Stadterkundung entscheiden. Einige wählten letztere Option, fuhren aber sogar zurück ins Quartier, um ein paar Stunden Schlaf nachzuholen.
Am Donnerstag unternahm das Berlin-Seminar einen Abstecher nach Potsdam. Im Cecilienhof vertieften die Jugendlichen ihr Wissen über das Kriegsende, die deutsche Teilung und den Beginn des Kalten Krieges. Im Garten und Schloss von Sanssouci war nicht mehr als ein Gruppenfoto drin. Ein gewaltiges Gewitter zog auf. Alle waren dankbar für eine Straßensperre, welche das Verweilen im Bus bedeutete. Nach zwanzig Minuten war der Spuk vorerst vorbei. Ein weiteres nicht bestelltes himmlisches Feuerwerk beendete auch den Lagerfeuerabend abrupt. Im Haupthaus von Schwanenwerder wurde aber noch lange vorzugsweise mit Teilnehmerinnen anderer Seminargruppen aus Zwickau, Berlin und Leipzig gespielt, gelacht und „Kontakt“ aufgenommen.

Wer meint, das war es mit dem offiziellen Programm und der Rest war Chillen, dem sei noch vom Besuch des ARD-Hauptstadtstudios am Abreisetag berichtet. Die späte Zugverbindung erlaubte es, noch eine Stunde lang Einblick zu nehmen in die Redaktionsräume, die Hörfunkstudios und das zentrale Fernsehstudio. Der Fensterblick auf den Reichstag sollte denen bekannt sein, die den Bericht aus Berlin oder die Sommerinterviews mit Persönlichkeiten aus der Politik bei Gelegenheit im ersten deutschen Fernsehen verfolgen. Letzter Input war die Auflösung des Rätsels, wofür die Abkürzung ARD steht. Mit dem Wissen, dass sich die „Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland“ 1950 gegründet hat, schlummerten alle im ICE zurück nach Dortmund schnell ein.
Wie der von einem Teilnehmer zur Verfügung gestellte Screenshot seiner Schrittzählerwochenstatistik zeigt, bestand der Samstag bei den meisten nur aus geistiger Nachbereitung in waagerechter Position. Die wenigen Schritte dokumentieren wohl nur die Strecke zwischen Kühlschrank und Bett. Gut gemacht. So können sich die vielen Eindrücke gut in die Erinnerung einprägen.

Text: Michael Schubert